In den Fachabteilungen vieler Unternehmen schlummert ein verborgenes Potenzial: Mitarbeiter, die unzufrieden mit den starren Prozessen ihrer ERP-Systeme sind, bauen im Verborgenen eigene Lösungen. Dieses Phänomen, bekannt als „Shadow IT” oder Schatten-IT, wird von IT-Leitern oft als Sicherheitsrisiko und Compliance-Albtraum gefürchtet. Doch was wäre, wenn wir diese subversive Innovation nicht als Bedrohung, sondern als Chance begreifen? Wenn wir aus den heimlichen Rebellen offizielle Innovatoren machen?

Dieser Artikel beleuchtet, warum Schatten-Systeme im ERP-Umfeld überhaupt entstehen, welche Probleme in den offiziellen Systemen sie aufzeigen und wie Unternehmen dieses Engagement kanalisieren können. Die Lösung liegt in einem Paradigmenwechsel: weg vom Verbot, hin zu kontrollierten Freiräumen durch Citizen Development und Plattformen wie die Microsoft Power Platform.

Das Phänomen: Warum Schatten-Systeme im ERP entstehen

Schatten-IT beschreibt den Einsatz von IT-Systemen, Software oder Hardware ohne die Genehmigung und Kenntnis der zentralen IT-Abteilung. Im Kontext von Enterprise Resource Planning (ERP) manifestiert sich dies oft in Form von komplexen Excel-Tabellen, die Daten aus dem ERP-System ziehen, kleinen Access-Datenbanken zur Verwaltung von Spezialfällen oder dem Einsatz externer Cloud-Dienste zur Datenanalyse und -visualisierung. Einer Studie zufolge nutzen 41% der Mitarbeiter nicht genehmigte Technologien, um ihre Arbeit effizienter zu gestalten (www.wiz.io).

Diese Eigenentwicklungen entstehen nicht aus böser Absicht, sondern aus einem konkreten Bedürfnis heraus. Mitarbeiter und Fachabteilungen versuchen, Lücken im bestehenden IT-System zu schliessen, um ihre täglichen Aufgaben besser, schneller oder einfacher zu erledigen. Sie sind oft die ersten, die Ineffizienzen in den standardisierten Prozessen des ERP-Systems erkennen.

Die sechs Hauptursachen für Shadow IT in Unternehmen

Um das Problem an der Wurzel zu packen, müssen wir verstehen, was Mitarbeiter in die Schatten-IT treibt. Die Gründe sind vielfältig und liegen meist in den Unzulänglichkeiten der bereitgestellten IT-Infrastruktur.

UrsacheBeschreibung
Mangel an Service & FlexibilitätDie IT kann benötigte Funktionen nicht schnell genug bereitstellen. Veraltete oder starre Systeme zwingen Mitarbeiter, nach Alternativen zu suchen.
Fehlende VisionOhne eine klare, von der Führung vorgegebene IT-Strategie entwickeln Abteilungen ihre eigenen, oft redundanten Lösungen.
Widersprüchliche VisionKonkurrierende Ziele zwischen Abteilungen führen zu einer fragmentierten IT-Landschaft mit inkonsistenten Prozessen.
Mangelndes BewusstseinMitarbeiter kennen die offiziellen IT-Richtlinien nicht oder umgehen sie bewusst, weil eine Durchsetzung fehlt.
Spezielle AnforderungenHochspezialisierte Bedürfnisse, die vom Standard-ERP nicht abgedeckt werden können, erfordern massgeschneiderte Lösungen.
Politik & AutonomieDas menschliche Streben nach Kontrolle und Autonomie kann zur Bildung von IT-Fürstentümern in einzelnen Abteilungen führen.

Diese Faktoren zeigen deutlich: Shadow IT ist oft ein Symptom für tiefgreifendere Probleme in der Zusammenarbeit zwischen IT und Fachbereichen.

Was im offiziellen ERP-System schiefläuft

Die Entstehung von Schatten-IT ist ein klares Signal dafür, dass das offizielle ERP-System die Erwartungen der Nutzer nicht erfüllt. Häufige Kritikpunkte sind:

  • Langsame Anpassungszyklen: Die IT-Abteilung ist oft ein Flaschenhals. Die Umsetzung neuer Anforderungen oder Anpassungen im ERP-System dauert Monate oder sogar Jahre.
  • Mangelnde Benutzerfreundlichkeit: Viele ERP-Systeme sind überladen, kompliziert und nicht intuitiv. Mitarbeiter bevorzugen die Einfachheit von modernen SaaS-Anwendungen.
  • Fehlende Funktionen: Das ERP-System ist ein „Tanker”, der viele Standardprozesse abdeckt, aber bei spezifischen Anforderungen der Fachabteilungen an seine Grenzen stösst.
  • Datenverfügbarkeit: Der Zugriff auf Daten und die Erstellung von aussagekräftigen Reports sind oft umständlich und erfordern IT-Support, was Mitarbeiter ausbremst.

Anstatt diese Signale zu ignorieren, sollten IT-Leiter sie als wertvolles Feedback betrachten. Die Schatten-IT zeigt genau, wo das ERP-System verbessert werden muss und wo der grösste Bedarf an agilen, benutzerfreundlichen Lösungen besteht.

Citizen Development: Die kontrollierte Alternative

Die Lösung liegt nicht darin, die Schatten-IT zu verbieten, sondern sie in geordnete Bahnen zu lenken. Hier kommt das Konzept des Citizen Development ins Spiel. Ein Citizen Developer ist ein Mitarbeiter ausserhalb der IT, der mit von der IT genehmigten Low-Code- oder No-Code-Plattformen eigene Anwendungen und Automatisierungen erstellt.

Dieser Ansatz bietet das Beste aus beiden Welten:

  • Empowerment der Mitarbeiter: Die Fachbereiche können schnell und agil auf neue Anforderungen reagieren und ihre eigenen Prozesse optimieren.
  • Kontrolle für die IT: Die Entwicklung findet auf einer zentral verwalteten und sicheren Plattform statt. Die IT behält die Kontrolle über Daten, Sicherheit und Compliance.

Durch die Etablierung eines Citizen-Development-Programms können Unternehmen die Innovationskraft ihrer Mitarbeiter nutzen, ohne die Risiken der unkontrollierten Schatten-IT einzugehen.

Microsoft Power Platform als kontrollierter Freiraum

Eine der führenden Plattformen zur Umsetzung von Citizen Development ist die Microsoft Power Platform. Sie besteht aus mehreren Komponenten, die es ermöglichen, Anwendungen, Workflows und Analysen mit minimalem Programmieraufwand zu erstellen:

  • Power Apps: Zur Erstellung von benutzerdefinierten Low-Code-Anwendungen für Web und Mobile.
  • Power Automate: Zur Automatisierung von wiederkehrenden Aufgaben und Workflows über verschiedene Anwendungen hinweg.
  • Power BI: Zur Analyse von Daten und Erstellung von interaktiven Dashboards.
  • Power Pages: Zur Erstellung von externen Webseiten.

Die Power Platform bietet eine sichere und governance-gesteuerte Umgebung, die speziell dafür entwickelt wurde, die Risiken der Schatten-IT zu mitigieren. IT-Administratoren können über ein Center of Excellence (CoE) detaillierte Richtlinien festlegen, z.B. welche Datenquellen (Konnektoren) genutzt werden dürfen (Data Loss Prevention Policies) und wer welche Art von Anwendungen erstellen darf.

So wird die Power Platform zu einem kontrollierten Freiraum, in dem Mitarbeiter ihre Ideen sicher umsetzen können, anstatt auf unsanktionierte Tools auszuweichen.

Aus Rebellen Innovatoren machen: Der Governance-Rahmen

Die erfolgreiche Einführung von Citizen Development erfordert mehr als nur die Bereitstellung einer Plattform. Es bedarf eines klaren Governance-Rahmens, der die Zusammenarbeit zwischen IT und Fachbereichen regelt. Ein solcher Rahmen sollte folgende Aspekte umfassen:

BereichMassnahmen
Onboarding & TrainingSchulungsprogramme und Mentoring, um Citizen Developer zu befähigen und Best Practices zu vermitteln.
VerantwortungsmodellKlare Definition, wer für welche Art von Anwendung verantwortlich ist (persönliche, Team- oder unternehmenskritische Apps).
QualitätssicherungProzesse für Review und Testing, insbesondere für Anwendungen, die von mehreren Personen oder Abteilungen genutzt werden.
Community BuildingAufbau einer internen Community zum Austausch von Wissen, zur gegenseitigen Unterstützung und zur Vorstellung neuer Lösungen.

Ein solches Framework stellt sicher, dass die entwickelten Lösungen nachhaltig, sicher und skalierbar sind. Die IT wandelt sich vom Gatekeeper zum Enabler, der die Fachabteilungen partnerschaftlich unterstützt.

Fazit: Subversive Innovation als Chance nutzen

Shadow IT im ERP-Umfeld ist kein Zeichen von Illoyalität, sondern ein Hilferuf nach besseren, flexibleren und benutzerfreundlicheren Werkzeugen. Anstatt diesen Ruf zu unterdrücken, sollten IT-Leiter, Prozessverantwortliche und Innovation Manager ihn als Katalysator für positive Veränderungen nutzen.

Indem Unternehmen auf Citizen Development und Plattformen wie die Microsoft Power Platform setzen, können sie die in der Schatten-IT schlummernde Energie in geordnete und produktive Bahnen lenken. Sie verwandeln frustrierte Rebellen in engagierte Innovatoren, die aktiv zur digitalen Transformation und zur Verbesserung der Geschäftsprozesse beitragen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, Kontrolle und Freiheit auszubalancieren und eine Kultur der Zusammenarbeit zu etablieren, in der die IT als Partner und nicht als Bremser wahrgenommen wird.

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Autor Head Marketing, Business Development & Innovation bei redPoint AG

Michael Bechen

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