Die Statistiken sind brutal: Je nach Studie scheitern zwischen 50 und 75 Prozent aller ERP-Projekte. Sie verfehlen ihre Ziele, sprengen das Budget oder werden komplett abgebrochen. Ein gescheitertes ERP-Projekt ist für ein KMU mehr als nur ein finanzielles Desaster – es ist ein Infarkt im Herzen des Unternehmens, der die gesamte Organisation lahmlegen kann.

Wir haben schon viele solcher “Tatorte” gesehen. Und anstatt nur über Erfolgsgeschichten zu sprechen, wollen wir heute schonungslos ehrlich sein. Wir führen eine Autopsie durch. An einem fiktiven, aber erschreckend realistischen Fall analysieren wir die tödlichen Fehler, die zum Kollaps führten.

Dieser Beitrag ist unbequem. Aber er ist überlebenswichtig. Lernen Sie aus den Fehlern anderer, bevor Ihr eigenes Projekt zum Fall für die IT-Forensik wird.

Der Tatort: Ein typisches Schweizer KMU am Rande des Kollaps

Das Opfer: Ein erfolgreiches Produktions-KMU, 150 Mitarbeiter, seit 20 Jahren am Markt. Das alte, selbstgestrickte System ist an seine Grenzen gestossen. Die Geschäftsleitung entscheidet sich für ein modernes ERP-System. Budget: 300’000 Franken. Zeitplan: 10 Monate.

Der Zustand nach 18 Monaten: Das Budget ist auf fast eine Million Franken explodiert. Der Go-Live wurde dreimal verschoben. Die Mitarbeiter sind frustriert und nutzen wieder ihre alten Excel-Listen. Die Lagerbestände sind fehlerhaft, Kundenreklamationen häufen sich. Das Projekt wird “vorläufig auf Eis gelegt” – ein Euphemismus für den Exitus.

Was ist hier passiert? Wir legen die fünf Haupttodesursachen frei.

Die Obduktion: Analyse der 5 tödlichen Fehler

Todesursache #1: Unrealistische Erwartungen – Der Wunsch nach der eierlegenden Wollmilchsau

Befund: Das Pflichtenheft war 200 Seiten lang und eine Sammlung aller Einzelwünsche aus allen Abteilungen. Jeder noch so obskure Sonderfall sollte abgebildet werden. Das Ziel war nicht, die Prozesse zu verbessern, sondern sie 1:1 im neuen System nachzubauen – nur eben “moderner”. Der Zeitplan wurde vom Management vorgegeben, ohne die Komplexität der Anforderungen zu berücksichtigen.

Analyse: Viele Projekte scheitern, bevor sie überhaupt begonnen haben, an einer unklaren Zieldefinition und unrealistischen Erwartungen. Anstatt die 80% der Standardprozesse schnell und effizient abzubilden, verliert man sich in den 20% der Sonderfälle. Das führt zu explodierenden Kosten und endlosen Verzögerungen.

Todesursache #2: Mangelndes Change Management – Das ignorierte Immunsystem

Befund: Die Mitarbeiter wurden erst zur Schulungswoche mit dem neuen System konfrontiert. Die Kommunikation beschränkte sich auf eine E-Mail der Geschäftsleitung, die “Effizienzsteigerungen” ankündigte. Es gab keine Key-User, die das Projekt mittrugen, keine Begleitung der emotionalen Achterbahnfahrt, die eine solche Veränderung auslöst.

Analyse: Ein ERP-Projekt ist ein tiefgreifender Eingriff in die Arbeitsweise jedes Einzelnen. Wird dieser menschliche Faktor ignoriert, reagiert die Organisation wie ein Körper, der ein fremdes Organ abstösst. Der Widerstand der Mitarbeiter ist das stärkste Gift für jedes ERP-Projekt. 3 Ohne frühzeitige Einbindung, transparente Kommunikation und echtes Change Management ist die Abwehrreaktion vorprogrammiert.

Todesursache #3: Katastrophale Datenmigration – “Garbage in, Gospel out”

Befund: Die Daten aus dem Altsystem wurden ungeprüft und unbereinigt übernommen. Dubletten bei Kundenstämmen, veraltete Artikelnummern, inkonsistente Formate. Beim Go-Live war das neue, teure System mit Datenmüll gefüllt. Das Vertrauen der Mitarbeiter war sofort zerstört.

Analyse: Der Satz “Garbage in, garbage out” ist eine Binsenweisheit, wird aber sträflich oft ignoriert. Eine mangelhafte Datenübernahme ist eine der häufigsten technischen Todesursachen. 2 Wenn die Daten im neuen System nicht stimmen, ist es für die Anwender wertlos. Die Datenmigration ist keine lästige Nebenaufgabe, sondern ein eigenes, kritisches Teilprojekt, das mindestens 20% der gesamten Projektzeit in Anspruch nehmen sollte.

Todesursache #4: Fehlendes Leadership-Commitment – Der Kapitän verlässt das sinkende Schiff

Befund: Nach den ersten Budgetüberschreitungen und Verzögerungen zog sich die Geschäftsleitung aus der operativen Projektleitung zurück. Entscheidungen wurden wochenlang aufgeschoben. Das Projektteam fühlte sich im Stich gelassen. Das ERP-Projekt wurde zu einem reinen IT-Thema degradiert.

Analyse: Ein ERP-Projekt ist ein strategisches Unternehmensprojekt und muss von der obersten Führungsebene getragen und vorangetrieben werden – vom Anfang bis zum Ende. 4 Wenn das Management bei den ersten Schwierigkeiten das Interesse verliert, sendet das ein fatales Signal an die gesamte Organisation. Es signalisiert, dass das Projekt nicht wirklich wichtig ist und man im Zweifelsfall zum alten Trott zurückkehren kann.

Todesursache #5: Übermässiges Customizing – Die Verbetonierung alter Fehler

Befund: Anstatt die eigenen Prozesse an den bewährten Standards der neuen Software zu orientieren, wurde das Gegenteil getan. Jeder historisch gewachsene, ineffiziente Prozess wurde mit teurem Custom-Code im neuen System nachgebaut. Das Motto: “Das haben wir schon immer so gemacht.”

Analyse: Übermässige Anpassungen sind der sicherste Weg, die Vorteile eines modernen ERP-Systems zunichte zu machen. Jede Sonderlocke erhöht die Komplexität, die Kosten und die Abhängigkeit vom Implementierungspartner. Zukünftige Updates werden zum Albtraum. Wie wir in unserem Beitrag zum ERP-Minimalismus argumentieren: Die Kunst liegt im Weglassen und in der Konzentration auf den Standard.

Das rechtsmedizinische Gutachten: So hätte der Patient überlebt

Dieses Projekt hätte nicht scheitern müssen. Die Todesursachen sind klassisch und vermeidbar. Ein erfolgreiches Projekt hätte auf folgenden Prinzipien basiert:

  • Prozesse vor Software: Erst die Prozesse analysieren und optimieren, dann die Software auswählen, die diese optimierten Prozesse am besten im Standard abbildet.
  • Menschen im Zentrum: Die Mitarbeiter von Anfang an zu Beteiligten machen, Key-User definieren und Change Management als zentralen Erfolgsfaktor begreifen.
  • Daten sind Gold: Die Datenmigration als eigenes Projekt mit dedizierten Ressourcen und einem klaren Qualitätsanspruch behandeln.
  • Führung als Vorbild: Die Geschäftsleitung treibt das Projekt aktiv voran, trifft schnelle Entscheidungen und lebt die Veränderung vor.
  • Standard vor Sonderlocke: Die eigenen Prozesse an den Best Practices der Software ausrichten, nicht umgekehrt.

Fazit: Ihr ERP-Projekt muss kein Kriminalfall werden

Die Autopsie dieses gescheiterten Projekts zeigt ein klares Muster. Es sind fast nie technische Probleme, die ein ERP-Projekt zu Fall bringen. Es sind menschliche und organisatorische Fehler: mangelnde Planung, schlechte Kommunikation und fehlende Führung.

Ein erfahrener ERP-Partner wie redPoint ist mehr als nur ein Software-Lieferant. Wir sind Ihr Partner, der diese Muster erkennt, bevor sie tödlich werden. Mit einer bewährten Einführungsmethodik und dem Mut, auch unangenehme Wahrheiten anzusprechen, navigieren wir Sie sicher durch die Risikozonen.

Lernen Sie aus den Fehlern anderer. Damit Ihr ERP-Projekt zu einer Erfolgsgeschichte wird – und nicht zu einem Fall für unsere Akten.

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